Die Beschuldigungssemiotik: Überlegungen zur Sprache der Dekonstruktion

Motzkau, Johanna (2005). Die Beschuldigungssemiotik: Überlegungen zur Sprache der Dekonstruktion. In: Mattes, Peter and Musfeld, Tamara eds. Psychologische Konstruktionen: Diskurse, Narrationen, Performanz. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, pp. 181–199.

URL: http://www.v-r.de/en/Mattes-Musfeld-Psychologische...

Abstract

Dieser Artikel handelt von Kindheit und vom wissenschaftlichen Sprechen über Kindheit, er handelt von Sprache, von der wissenschaftlichen Sprache und vom Sprechen über die wissenschaftliche Sprache, überdies handelt er vom kindlichen Sprechen und demzufolge von Entwicklung.
Die Frage nach den Grundlagen und Triebkräften von Entwicklung war immer schon Anlass für heftige Kontroversen. Inspiriert vom dem durch Autoren wie Foucault (1974; 1989; 2000) und Derrida (1967) eröffneten Denkraum ist aber in den letzten fünfzehn Jahren das Konzept von Entwicklung selbst, und somit auch der Entwicklungsbegriff der traditionellen Entwicklungspsychologie Gegenstand zersetzender, dekonstruktivistischer Kritik geworden. Eine besonders bemerkenswerte und akribische Auseinandersetzung mit den impliziten Machtstrukturen der Disziplin liefert eine lose assoziierte Gruppe von Autorinnen und Autoren die unter dem Begriff Critical Psychology of Development zusammen gefasst werden kann. Es handelt sich hierbei jedoch keinesfalls um eine Schule oder Disziplin. Die Bezeichnung Critical Psychology of Development dient lediglich als Sammelbegriff und ist beispielsweise von J. Morss (1996) und J. M. Broughton (1987) vorgeschlagen worden um Arbeiten von J. Henriques, J. M. Broughton, V. Walkerdine, E. Burman, B. Bradley, W. Stainton Rogers und R. Stainton Rogers zusammen zu fassen. Ebenso bemerkenswert wie die Eindringlichkeit dieser Kritik am Entwicklungsbegriff ist allerdings auch ihre Wirkungslosigkeit, denn trotz radikaler und zum Teil berechnend provokativer Formulierungen ist sie von der traditionellen Entwicklungspsychologie bisher auf höchst eigentümliche Weise ignoriert worden.
Ich möchte im Folgenden das konkrete Beispiel der Critical Psychology of Development nachzeichnen, um zum einen den Wert ihrer Kritik heraus zu arbeiten, und zum anderen, um zu zeigen, dass deren Erfolglosigkeit nicht Resultat übermässig radikaler Ideen sondern die implizite Konsequenz des eigenen, nämlich dekonstruktivistischen Sprachgebrauchs ist. Meines Erachtens lässt sich das paradoxe Scheitern der Critical Psychology of Development auf den verdoppelnden Gebrauch von Sprache zurückführen: Sprache ist hier sowohl Gegenstand, als auch Werkzeug der Kritik. Dies führt zu einer sich verselbständigenden Dynamik zirkulierender Mißverständnisse, welche die Vermittlung oder Diskussion von Inhalten unmöglich macht und der Kritik den Anschein absurder Anschuldigungen verleiht: Die Critical Psychology of Development installiert und unterhält ungewollt eine Beschuldigungssemiotik. Die Sprache scheint überfordert mit der ihr zugemuteten Aufgabe, und in der Konsequenz entsteht der Eindruck, man habe der Sprache selbst das Sprechen überlassen. In diesem Sinne dient das tautologisch anmutenden Eingangszitat von Wygotski als Leitmotiv für meine Untersuchung: Wenn das Verstehen der Sprache erfordert, daß man bereits weiß wovon die Rede ist, scheint die Sprache selbst über das wovon die Rede ist nichts mitzuteilen. Worüber aber spricht dann die Sprache?

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